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16. April - Ernst Thälmann

„Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg“

Mit dieser prophetischen Losung zog die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) in die Reichspräsidentenwahl im Jahre 1932, für die sie Ernst Thälmann (16.4.1886 – 18.8.1944) als ihren Kandidaten nominierte. Auf die beiden Reichspräsidentenwahlen von 1925 und 1932, bei denen Thälmann jeweils in beiden Wahlgängen antrat, gehe ich weiter unten ein.

Ernst Thälmann wurde als Sohn eines Speditionskutschers in Hamburg geboren, die Eltern eröffneten 1895 ein kleines Gemüse-, Steinkohlen- und Fuhrwerksgeschäft. Thälmann besuchte die Volksschule, wollte Lehrer werden oder ein Handwerk erlernen, was seine Eltern aus finanziellen Gründen verweigerten. Er musste im elterlichen Betrieb viel arbeiten, allerdings nur für ein Taschengeld. So suchte er sich eine Arbeit im Hafen und kam mit Hafenarbeitern beim Hamburger Hafenarbeiterstreik (Nov. 1896 – Febr. 1897) in Kontakt, was ihn sehr für sein späteres Leben prägte.

Folgerichtig wurde Thälmann Mitglied der SPD und der Gewerkschaft. Im ersten Weltkrieg war er Soldat an der Westfront, wurde verwundet und erhielt Auszeichnungen. Nach Kriegsende trat er der USPD bei und arbeitete aktiv im Arbeiter- und Soldatenrat Hamburgs. Zusammen mit der großen Mehrheit der USPD-Mitglieder vollzog auch Ernst Thälmann 1920 die Vereinigung von USPD und KPD zur Vereinigten KPD (VKPD), deren Vorsitzender er in Hamburg weiterhin war. Als Delegierter des 3. Weltkongresses der Komintern im Juni 1921 in Moskau lernte Thälmann Lenin kennen.

Nach innerparteilichen Krisen wurde Ernst Thälmann am 1.9.1925 defacto KPD-Vorsitzender (zusammen mit Philipp Dengel), nachdem die bisherigen Vorsitzenden Ruth Fischer und Arkadi Maslow zurücktreten mussten, wobei ein Offener Brief Stalins eine große Rolle spielte.

Nach SED-Lesart entwickelte sich nun die KPD unter Thälmanns Führung „zu einer starken, eng mit den Massen verbundenen marxistisch-leninistischen Partei.“ Tatsächlich folgte die KPD dem Kurs Stalins und der Komintern fast bedingungslos, Kritiker wurden ausgeschlossen oder traten aus. So übernahm Thälmann die von Stalin und der Komintern erhobene Schelte gegen Rosa Luxemburg und forderte „den schärfsten Kampf gegen die Überreste des Luxemburgismus“.

Besonders verhängnisvoll war das volle Einschwenken auf die Sozialfaschismusthese. Ihre Hochzeit erlebte diese aus der Komintern-Zentrale stammende These 1924 sowie in den Jahren von 1929 bis 1934. So schrieb z.B. Stalin: „Die Sozialdemokratie ist objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus.“  Es versteht sich von selbst, dass diese Behauptung nicht nur falsch war, die Spaltung der Arbeiterbewegung vertiefte und insbesondere in Deutschland die Herausbildung einer wirkungsvollen Gegenmacht gegen den immer stärker werdenden Hitlerfaschismus verhinderte. Einziges halbwegs plausibles Argument für diese absurde These ist das teilweise blutige Vorgehen mancher Sozialdemokraten in staatlichen Funktionen gegen revolutionäre Arbeiter in den Jahren der Nachkriegskrise (1919 - 1923) oder beim 1. Mai 1929 („Blut-Mai“) in Berlin. Ernste Defizite im Verständnis von Staat, Demokratie und Gesellschaft innerhalb der Komintern, stammend aus Lenins Erbe, leisteten außerdem Vorschub.

Wichtige Ereignisse in der Weimarer Republik, aber auch für die KPD und Ernst Thälmann persönlich waren die zwei Reichspräsidentenwahlen, 1925 und 1932.

Nachdem der erste Reichspräsident Friedrich Ebert Anfang 1925 überraschend verstorben war, wurden Neuwahlen fällig. Im ersten Wahlgang traten mindestens sieben Bewerber an. Ernst Thälmann errang für die KPD einen abgeschlagenen vierten Platz mit 7%. Für den zweiten Wahlgang bildeten sich zwei große Blöcke, der ‚Volksblock‘, getragen von Zentrumspartei, DDP und SPD mit dem Kandidaten Wilhelm Marx (Zentrum) und der ‚Reichsblock‘, getragen von rechten und monarchistischen Parteien mit dem Kandidaten Paul von Hindenburg (parteilos), der nach gültigem Wahlrecht im zweiten Wahlgang antreten durfte, ohne am ersten teilgenommen zu haben.

Trotz gegenteiliger Empfehlung des EKKI trat Ernst Thälmann als dritter Kandidat an. Dazu erklärte die KPD: „Es ist nicht die Aufgabe des Proletariats, …, zwischen dem Zivildiktator Marx und dem Militärdiktator Hindenburg das kleinere Übel zu wählen. Jeder klassenbewusste Arbeiter stimmt gegen Hindenburg und Marx für Thälmann!“

Der geringe Abstand zwischen Hindenburg (48.3%) und Marx (45,3) sowie die 6,4% für Thälmann weisen darauf hin, dass die Kandidatur Thälmanns im zweiten Wahlgang ein großer politischer Fehler war. Ein Verzicht Thälmanns, verbunden mit dem Aufruf, nicht den Monarchisten Hindenburg zu wählen, hätte möglicherweise diesen verhindert. Wie sich später zeigte, war es keineswegs gleichgültig, wer das Präsidentenamt innehatte.

Eine ähnliche, wenngleich durch die inzwischen stark an Einfluss gewonnene NSDAP Hitlers verschärfte Situation zeigte sich bei der folgenden Wahl des Reichspräsidenten 1932.

Im ersten Wahlgang traten fünf Kandidaten an: Hindenburg (parteilos, 49,5%), Hitler (NSDAP, 30,1%), Thälmann (KPD, 13,2%), Duesterberg (Stahlhelm, 6,8%), Winter (0,3%). Für Thälmann war es ein großer Achtungserfolg, auch Linke außerhalb der KPD oder gar in Opposition zu ihr stehend sowie linke Intellektuelle wie Carl von Ossietzky warben für ihn als einzigen linken Kandidaten. Trotzdem war deutlich, dass er im zweiten Wahlgang gegen Hindenburg und Hitler chancenlos war, zumal Duesterberg und Winter aufgaben.

Die KPD indes beschloss, Thälmann auch im zweiten Wahlgang antreten zu lassen, bei dem es dann folgendes Ergebnis gab: Hindenburg (53,1%), Hitler (36,8%), Thälmann (10,2%).

Die KPD unter Thälmann setzte gemäß der Sozialfaschismusthese ihre Politik gegen die SPD fort, mit der Illusion, eine Einheit gegen den Faschismus von unten, also gegen die Führungen von SPD und Gewerkschaften, zu organisieren. Mit diesem Ziel wurde die ‚Antifaschistische Aktion‘ im Sommer 1932 gegründet. Die Geschichte ist bekannt, eine echte, wirksame gemeinsame Aktion von KPD und SPD gegen die drohende Machtübernahme Hitlers kam nicht zustande, woran auch die KPD ihren großen Anteil hatte.

Sehr aufschlussreich für das innen- und außenpolitische Verständnis Thälmanns und der KPD ist die Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes vom 24.8.1930. Darin wurden Politik und Demagogie der Hitlerfaschisten gebrandmarkt, die bekannten Vorwürfe gegen die SPD erneuert und erklärt, wofür und wogegen die KPD kämpfe. Es finden sich sowohl nationalistische Töne als auch unrealistische Zukunftserwartungen. Die Erklärung schließt mit den schon damals unpassenden Losungen: „Nieder mit Faschismus und Sozialdemokratie! Es lebe die Diktatur des Proletariats! Es lebe Sowjetdeutschland!“.

(https://www.marxists.org/deutsch/referenz/thaelmann/1930/08/natsozbef.htm)

Damals war unter Kommunisten die Ansicht weit verbreitet, der Faschismus sei vor allem Krise und Endstadium des Kapitalismus, sozusagen sein ‚Todesröcheln‘ (Gramsci), bald danach müsse der Sozialismus kommen. Das revolutionäre Potential der Arbeiterklasse wurde weit überschätzt, entgegen erster soziologischer Erhebungen, z.B. durch Erich Fromm u.a. (Die Gefahr des Faschismus wurde auch von anderen politischen Kräften grob unterschätzt.)

Ernst Thälmann wurde am 3.3.1933 verhaftet und von der Gestapo gefoltert. Trotz internationaler Proteste blieb er in Haft und wurde am 18.8.1944 auf direktem Befehl Hitlers im KZ Buchenwald ermordet.

In Thälmanns Biographie zeigen sich Tragik und Bruchlinien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aus proletarischen Verhältnissen stammend kam er zur revolutionären Arbeiterbewegung, wurde zum anerkannten Führer der KPD, erlag den Irrtümern des Stalinismus und bezahlte seine antifaschistische Haltung mit Kerker und Tod.

In der DDR wurde Thälmann zum Helden und Märtyrer, zum Namengeber von Straßen, Schulen, Betrieben und Organisationen. Die SED machte ihn zum Götzen ihres Machtanspruches.

(Michael Wolff, April 2025)