Aktuelles aus dem Bezirk
23. März - Wolfgang Fritz Haug
„Links ist alles Handeln, das Welt aus dem Reich des Privateigentums zurückgewinnt, ohne sie dem Reich des Staatsapparats auszuliefern.“
Wolfgang Fritz Haug wurde am 23.3.1936 in Esslingen am Neckar geboren. Beste Wünsche zum 89. Geburtstag auch von dieser Stelle!
Das obige Zitat findet sich in seinem Werk Politisch richtig oder richtig politisch. Linke Politik im transnationalen High-Tech-Kapitalismus (1999, S. 14). Weiter unten komme ich darauf zurück.
Wolfgang Fritz Haug studierte von 1955 bis 1963 Philosophie, Romanistik und Religionswissenschaft in Tübingen, Montpelier, Berlin und Perugia. Zum Marxismus kam er über den kategorischen Imperativ von Karl Marx, nämlich „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ (s. auch das Kalenderblatt zu Karl Marx.) Dieses Zitat hörte Haug interessanterweise zuerst in einer Theologievorlesung.
Über weitere bemerkendwerte Aspekte seines wissenschaftlichen und politischen Werdeganges berichtete Wolfgang Haug in einer Vorlesung mit dem Titel Ist es einfach, im Marxismus Philosoph zu sein? 2013 anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde seitens der Universität Roskilde in Dänemark. (Zu hören in Deutsch ab der zwölften Minute auf https://www.youtube.com/watch?v=X4TahxUX434)
Von 1979 bis 2001 war Haug Professor für Philosophie an der Freien Universität Berlin, wobei seine Berufung nicht so einfach war, da er sich bereits einen Namen als marxistischer Forscher gemacht hatte (ebenfalls im Video zu hören). Er bezeichnet sich auch als Marxist ohne Marxismus, aber nicht als Kommunist.
Haug gehörte zur Gruppe zeitgenössischer westeuropäischer marxistischer Forscher, die vor 1989 im Westen als Agenten des Ostens und im Osten als Agenten des Westens angesehen wurden. So bekam Haug beide Etiketten angeheftet, „Mann Moskaus“ und „imperialistischer Agent“. Diese Wissenschaftler kritisierten radikal die kapitalistischen Verhältnisse, sparten jedoch nicht mit Kritik an Dogmatismus und Art der Herrschaftsausübung im Machtbereich der marxistisch-leninistischen Orthodoxie.
Wolfgang Fritz Haug kann auf eine lange Liste Veröffentlichungen zu unterschiedlichen Themen zurückblicken (s. Einträge im Netz), er war in unterschiedlichen Funktionen tätig und leitet bis heute das von ihm mitgegründete Berliner Institut für kritische Theorie (https://inkrit.de/neuinkrit/index.php/de/). Seit 2007 sind er und seine Ehefrau, die Soziologin Frigga Haug, Mitglieder der Partei Die Linke.
In der schon zitierten Roskilde-Vorlesung von 2013 würdigte Haug den Kern der Marxschen Theorie, die Beschreibung der Funktionsweise der kapitalistischen Gesellschaft und die daraus folgende ständige Modernisierung der Produktivkräfte, die bis heute anhält, sich teilweise sogar beschleunigt und bei aller Widersprüchlichkeit einzelner Aspekte die Globalisierung nebst Umgestaltung der Arbeitswelt antreibt. Im ebenfalls oben zitierten Buch Politisch richtig oder richtig politisch von 1998 findet sich auf S. 12
„Die neoliberale Freihandelspolitik scheint sich das Ziel gesteckt zu haben, die Welt bestimmten Beschreibungen oder Vorhersagen des Kommunistischen Manifests anzugleichen. Der Siegeszug der hochtechnologischen Produktionsweise hat die fordistisch geschulte Arbeitskraft ‚dequalifiziert‘ und ihre wohlerworbenen Rechte und sozialstaatlichen Errungenschaften ausgehöhlt.“
In echter Tradition von Marx und Engels weist Haug auf die wissenschaftliche Notwendigkeit hin, die Veränderungen der technologischen Seite des Produktionsprozesses wie die in der Arbeitswelt genau zu analysieren. Im weiteren Verlauf geht Haug darauf ein, wie Linke nun reagieren sollten und was links sei. So lesen wir auf S. 13:
„Zu lernen ist die Dialektik der neuen Politikfelder. Was nach wohlerkämpften Kriterien politisch richtig scheint, ist unter Bedingungen des transnationalen High-Tech-Kapitalismus vielleicht längst nicht mehr richtig politisch. Vielleicht verdient am Ende so manche Auffassung, die man, weil sie es einmal war, für links hält, nicht mehr dieses Attribut.“
Und weiter:
„Man bleibt nicht links, sondern handelt so (greift ein) in immer neuen konkreten Situationen.“
Nach der Auseinandersetzung mit Aspekten linker Politik im letzten Jahrzehnt vor der Jahrtausendwende schreibt Haug:
„Links ist daher auch stets neue Selbstkritik linker Phrasen. Links sucht den Weg jenseits von … autoritärem Staat und Bürgerkrieg. Links ist, aus dem sowjetischen Debakel wie aus der postkommunistischen Misere zu lernen.“
Den Abschnitt abschließend folgt dann das Eingangszitat über das Linkssein. Es spiegeln sich darin die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte in beiden Gesellschaftstypen.
Im sowjetischen war das proklamierte Volkseigentum defacto Staatseigentum in der Verfügungsgewalt der herrschenden Partei- und Staatsbürokratie, ja, die Gesellschaft war im Wesentlichen selbst verstaatlicht, auch Partei und der proklamierte Marxismus-Leninismus.
Im Kapitalismus, z.B. in Deutschland, gibt es kommunales, Landes- und Bundeseigentum, in Verfügungsgewalt der jeweiligen exekutiven Körperschaften. Es kann einen Unterschied machen, welche Parteien die jeweilige Regierung stellen und wie die Zivilgesellschaft Einfluss nimmt. So ist die privatisierte Deutsche Bahn Eigentum des Bundes, und vieles hängt davon ab, ob und wie die Bundesregierung dem Unternehmen Vorgaben macht, z.B. bezüglich eines besseren Angebotes in der Fläche.
Auch wenn das kleine Buch Politisch richtig oder richtig politisch den Stand internationaler Verhältnisse und linker Politik bis 1998 abbildet, wie es natürlich gewöhnlich bei Büchern ist, so lohnt sich meines Erachtens doch eine Lektüre und ein Nachdenken. Denn obwohl die Entwicklungen rasant sind und sich in den letzten 25 Jahren sehr viel getan hat, gibt es Einschätzungen, die nicht nur in ihrer Substanz Bestand haben, sondern auch hilfreich für das Herangehen an aktuelle Probleme sein können.
Das trifft auch auf das Werk Dreizehn Versuche, marxistisches Denken zu erneuern von 2001 zu. Allein die Überschrift des ersten Versuchs verspricht Spannung: Rückblick auf den Marxismus des 20, Jahrhunderts – Erbe, Aufgaben und Aussichten einer marxistischen Renaissance.
Hervorzuheben sind auch die Vorlesungen zur Einführung ins »Kapital«, erstmals 1974 erschienen, mit einer Neufassung von 2005. Für die Ohren Älterer mit Ost-Biographie klingt das etwas nach der berühmt-berüchtigten Sekundärliteratur, in der Werke von Marx, Engels und Lenin (Stalin wurde zu meiner Zeit fast nur noch im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg erwähnt, seine Schriften waren unter Verschluss.) in der jeweiligen Diktion der Parteiführung erläutert wurden. Mit diesen kleinen Bändchen konnte man sich auf Prüfungen vorbereiten, fast ohne die Originalwerke gelesen zu haben, die Antworten auf die gängigen Prüfungsfragen waren implizit vorgegeben.
Mit entgegengesetzter Absicht hielt Wolfgang Haug diese Vorlesungen, sie waren gedacht für Leute, die das Kapital wirklich ernsthaft lesen und verstehen wollten. Sie gaben Hilfestellung und Anregungen zum eigenen Erschließen des Gelesenen. Noch unter dem Eindruck der Achtundsechziger Bewegung strömten viele Studentinnen und Studenten in diese Vorlesungen und die zugehörigen Seminare. Das ebbte natürlich später ab, trotzdem scheint mir dieses Werk Haugs wichtig, wenn heute Jüngere erste Bekanntschaft mit dem Kapital machen oder Ältere es wieder lesen möchten.
(Michael Wolff, März 2025)
„Links ist alles Handeln, das Welt aus dem Reich des Privateigentums zurückgewinnt, ohne sie dem Reich des Staatsapparats auszuliefern.“
Wolfgang Fritz Haug wurde am 23.3.1936 in Esslingen am Neckar geboren. Beste Wünsche zum 89. Geburtstag auch von dieser Stelle!
Das obige Zitat findet sich in seinem Werk Politisch richtig oder richtig politisch. Linke Politik im transnationalen High-Tech-Kapitalismus (1999, S. 14). Weiter unten komme ich darauf zurück.
Wolfgang Fritz Haug studierte von 1955 bis 1963 Philosophie, Romanistik und Religionswissenschaft in Tübingen, Montpelier, Berlin und Perugia. Zum Marxismus kam er über den kategorischen Imperativ von Karl Marx, nämlich „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ (s. auch das Kalenderblatt zu Karl Marx.) Dieses Zitat hörte Haug interessanterweise zuerst in einer Theologievorlesung.
Über weitere bemerkendwerte Aspekte seines wissenschaftlichen und politischen Werdeganges berichtete Wolfgang Haug in einer Vorlesung mit dem Titel Ist es einfach, im Marxismus Philosoph zu sein? 2013 anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde seitens der Universität Roskilde in Dänemark. (Zu hören in Deutsch ab der zwölften Minute auf https://www.youtube.com/watch?v=X4TahxUX434)
Von 1979 bis 2001 war Haug Professor für Philosophie an der Freien Universität Berlin, wobei seine Berufung nicht so einfach war, da er sich bereits einen Namen als marxistischer Forscher gemacht hatte (ebenfalls im Video zu hören). Er bezeichnet sich auch als Marxist ohne Marxismus, aber nicht als Kommunist.
Haug gehörte zur Gruppe zeitgenössischer westeuropäischer marxistischer Forscher, die vor 1989 im Westen als Agenten des Ostens und im Osten als Agenten des Westens angesehen wurden. So bekam Haug beide Etiketten angeheftet, „Mann Moskaus“ und „imperialistischer Agent“. Diese Wissenschaftler kritisierten radikal die kapitalistischen Verhältnisse, sparten jedoch nicht mit Kritik an Dogmatismus und Art der Herrschaftsausübung im Machtbereich der marxistisch-leninistischen Orthodoxie.
Wolfgang Fritz Haug kann auf eine lange Liste Veröffentlichungen zu unterschiedlichen Themen zurückblicken (s. Einträge im Netz), er war in unterschiedlichen Funktionen tätig und leitet bis heute das von ihm mitgegründete Berliner Institut für kritische Theorie (https://inkrit.de/neuinkrit/index.php/de/). Seit 2007 sind er und seine Ehefrau, die Soziologin Frigga Haug, Mitglieder der Partei Die Linke.
In der schon zitierten Roskilde-Vorlesung von 2013 würdigte Haug den Kern der Marxschen Theorie, die Beschreibung der Funktionsweise der kapitalistischen Gesellschaft und die daraus folgende ständige Modernisierung der Produktivkräfte, die bis heute anhält, sich teilweise sogar beschleunigt und bei aller Widersprüchlichkeit einzelner Aspekte die Globalisierung nebst Umgestaltung der Arbeitswelt antreibt. Im ebenfalls oben zitierten Buch Politisch richtig oder richtig politisch von 1998 findet sich auf S. 12
„Die neoliberale Freihandelspolitik scheint sich das Ziel gesteckt zu haben, die Welt bestimmten Beschreibungen oder Vorhersagen des Kommunistischen Manifests anzugleichen. Der Siegeszug der hochtechnologischen Produktionsweise hat die fordistisch geschulte Arbeitskraft ‚dequalifiziert‘ und ihre wohlerworbenen Rechte und sozialstaatlichen Errungenschaften ausgehöhlt.“
In echter Tradition von Marx und Engels weist Haug auf die wissenschaftliche Notwendigkeit hin, die Veränderungen der technologischen Seite des Produktionsprozesses wie die in der Arbeitswelt genau zu analysieren. Im weiteren Verlauf geht Haug darauf ein, wie Linke nun reagieren sollten und was links sei. So lesen wir auf S. 13:
„Zu lernen ist die Dialektik der neuen Politikfelder. Was nach wohlerkämpften Kriterien politisch richtig scheint, ist unter Bedingungen des transnationalen High-Tech-Kapitalismus vielleicht längst nicht mehr richtig politisch. Vielleicht verdient am Ende so manche Auffassung, die man, weil sie es einmal war, für links hält, nicht mehr dieses Attribut.“
Und weiter:
„Man bleibt nicht links, sondern handelt so (greift ein) in immer neuen konkreten Situationen.“
Nach der Auseinandersetzung mit Aspekten linker Politik im letzten Jahrzehnt vor der Jahrtausendwende schreibt Haug:
„Links ist daher auch stets neue Selbstkritik linker Phrasen. Links sucht den Weg jenseits von … autoritärem Staat und Bürgerkrieg. Links ist, aus dem sowjetischen Debakel wie aus der postkommunistischen Misere zu lernen.“
Den Abschnitt abschließend folgt dann das Eingangszitat über das Linkssein. Es spiegeln sich darin die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte in beiden Gesellschaftstypen.
Im sowjetischen war das proklamierte Volkseigentum defacto Staatseigentum in der Verfügungsgewalt der herrschenden Partei- und Staatsbürokratie, ja, die Gesellschaft war im Wesentlichen selbst verstaatlicht, auch Partei und der proklamierte Marxismus-Leninismus.
Im Kapitalismus, z.B. in Deutschland, gibt es kommunales, Landes- und Bundeseigentum, in Verfügungsgewalt der jeweiligen exekutiven Körperschaften. Es kann einen Unterschied machen, welche Parteien die jeweilige Regierung stellen und wie die Zivilgesellschaft Einfluss nimmt. So ist die privatisierte Deutsche Bahn Eigentum des Bundes, und vieles hängt davon ab, ob und wie die Bundesregierung dem Unternehmen Vorgaben macht, z.B. bezüglich eines besseren Angebotes in der Fläche.
Auch wenn das kleine Buch Politisch richtig oder richtig politisch den Stand internationaler Verhältnisse und linker Politik bis 1998 abbildet, wie es natürlich gewöhnlich bei Büchern ist, so lohnt sich meines Erachtens doch eine Lektüre und ein Nachdenken. Denn obwohl die Entwicklungen rasant sind und sich in den letzten 25 Jahren sehr viel getan hat, gibt es Einschätzungen, die nicht nur in ihrer Substanz Bestand haben, sondern auch hilfreich für das Herangehen an aktuelle Probleme sein können.
Das trifft auch auf das Werk Dreizehn Versuche, marxistisches Denken zu erneuern von 2001 zu. Allein die Überschrift des ersten Versuchs verspricht Spannung: Rückblick auf den Marxismus des 20, Jahrhunderts – Erbe, Aufgaben und Aussichten einer marxistischen Renaissance.
Hervorzuheben sind auch die Vorlesungen zur Einführung ins »Kapital«, erstmals 1974 erschienen, mit einer Neufassung von 2005. Für die Ohren Älterer mit Ost-Biographie klingt das etwas nach der berühmt-berüchtigten Sekundärliteratur, in der Werke von Marx, Engels und Lenin (Stalin wurde zu meiner Zeit fast nur noch im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg erwähnt, seine Schriften waren unter Verschluss.) in der jeweiligen Diktion der Parteiführung erläutert wurden. Mit diesen kleinen Bändchen konnte man sich auf Prüfungen vorbereiten, fast ohne die Originalwerke gelesen zu haben, die Antworten auf die gängigen Prüfungsfragen waren implizit vorgegeben.
Mit entgegengesetzter Absicht hielt Wolfgang Haug diese Vorlesungen, sie waren gedacht für Leute, die das Kapital wirklich ernsthaft lesen und verstehen wollten. Sie gaben Hilfestellung und Anregungen zum eigenen Erschließen des Gelesenen. Noch unter dem Eindruck der Achtundsechziger Bewegung strömten viele Studentinnen und Studenten in diese Vorlesungen und die zugehörigen Seminare. Das ebbte natürlich später ab, trotzdem scheint mir dieses Werk Haugs wichtig, wenn heute Jüngere erste Bekanntschaft mit dem Kapital machen oder Ältere es wieder lesen möchten.
(Michael Wolff, März 2025)