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5. März - Josef Wissarionowitsch Stalin

„Ist die politische Linie klar, entscheiden Kader alles“ und

„Der Klassenkampf verschärft sich beim Aufbau des Sozialismus“

Diese beiden Thesen stammen von Josef Stalin und drücken recht passend die politische DNS des Stalinismus aus, weit über die Person von Stalin hinaus. Die erste These, 1935 von Stalin formuliert, vorher längst praktiziert, drückt in ihrer Verabsolutierung des subjektiven Faktors den typischen Voluntarismus im sowjetischen Gesellschaftsmodell aus. Die zweite These, hier etwas zusammengefasst, begründete Stalin im April 1929 auf einem Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei. Sie diente vor allem dazu, den Kampf gegen innerparteiliche Kritiker und den späteren Massenterror im Land zu begründen, und wurde 1956 von Nikita Chruschtschow auf dem 20. Parteitag als falsch bewertet.

(siehe www.marxists.org/russkij/stalin/t12/t12_01.htm)

Josef Wissarionowitsch Stalin (georgisch: Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili) wurde am 6.12.1878 in Gori, Gouvernement Tiflis, Russisches Kaiserreich, heute Georgien, geboren und starb am 5.3.1953 in Kunzewo bei Moskau. Seinen Kampfnamen Stalin, wohl der Stählerne, nahm er 1912 an. Seine Eltern waren Georgier, 1883 verließ seine streng religiöse Mutter mit ihm den gewalttätigen Vater, arbeitete als Wäscherin und Haushaltshilfe und drängte auf eine gute Schulbildung des jungen Dschughaschwili. So besuchte dieser die kirchliche Schulde in Gori, wo er Russisch lernen musste, und danach das Priesterseminar in Tiflis.

Nach Kontakten zu geheimen marxistischen Zirkeln kam er 1898 zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR). Er wurde des Priesterseminars verwiesen und lebte fortan als Berufsrevolutionär. Nach der Parteispaltung schloss er sich den Bolschewiki an, traf 1905 erstmals mit Lenin persönlich zusammen und wurde 1912 Mitglied des Zentralkomitees der Bolschewiki. Er lebte im Untergrund, war an Banküberfällen beteiligt, um die Parteikasse aufzufüllen, wurde mehrmals verhaftet und verbannt.

Nach der Oktoberrevolution 1917 wurde Stalin in der ersten Regierung unter Lenin Volkskommissar für Nationalitätenfragen. Bei der Gründung der Sowjetunion 1922 setzte sich Lenins Konzept eines Bundes gleichberechtigter Sowjetrepubliken durch, wohingegen Stalin für einen Beitritt dieser zur Russischen Sowjetrepublik warb.

1922 wurde Stalin erst Sekretär, dann am 30.12. Generalsekretär des Zentralkomitees, was er bis zu seinem Tode 1953 blieb. Mit diesem ursprünglich eher für organisatorische Fragen geschaffenen Amt konnte Stalin Stück für Stück seine Macht ausbauen, durch günstige Umstände wie Lenins schwere Krankheit, durch Intrigen, auch mit wechselnden Verbündeten, durch Protektion von Günstlingen, bald auch mit Gewalt und Terror des ihm hörigen Geheimdienstes, so dass er zum faktischen Alleinherrscher der Sowjetunion aufstieg.

Stalin verstand es gut, Krisen im Land, die er größtenteils durch eigene (Fehl-)Entscheidungen mit herbeigeführt hatte, zur Festigung seiner Macht und zum Ausschalten letzter verbliebener Kritiker zu nutzen. Damit komme ich auf die Losungen in der Überschrift zurück.

Exemplarisch sind die Jahre 1927 bis 1929. Die Neue Ökonomische Politik (NÖP), 1921 nach dem Kriegskommunismus auf Betreiben Lenins eingeführt, hatte Landwirtschaft, privaten Handel und Gewerbe belebt und teils zu bescheidenem Wohlstand geführt, obwohl der Vorkriegsstand noch nicht erreicht war. Die Industrie hingegen blieb zurück. Hinzu kam, dass die staatlichen Aufkaufpreise für Getreide, zu niedrig waren, so dass die größeren Bauernwirtschaften wenig Interesse daran hatten, ihre Produktion zu vergrößern, wofür sie teure Maschinen beschaffen müssten. Kurz, die wachsende Nachfrage nach Getreide konnte nicht gedeckt werden, es bestand eine „Getreidebeschaffungskrise“.

Auf diese Krise regierte die Führung um Stalin zuerst administrativ mit Dekreten, danach mit Zwang und schließlich mit Terror. Unteren Funktionären wurde offen gedroht, falls sie nicht rücksichtlos dafür sorgten, dass die Pläne für das Getreideaufkommen erfüllt wurden. Harter persönlicher Einsatz auf unterer Ebene sollte so von der Führung verursachte Fehler ausbügeln. Hier sind wir bei der obigen Losung von den „alles entscheidenden Kadern“, die nur die klare politische Linie streng umzusetzen hätten. Diese Art von Politik war auch verbreitet in anderen „realsozialistischen“ Ländern (Stichwort: schlechte Leitungstätigkeit).

Der Dorfarmut wurde ein Viertel des konfiszierten Getreides versprochen, wenn sie Großbauern („Kulaken“) denunzierten und Verstecke fanden und meldeten. Es versteht sich von selbst, dass sich so die Spannungen im Dorf verschärften, Protest und Widerstand bis hin zu bewaffneten Anschlägen aufbauten und zweifellos vorhandene Kräfte der Konterrevolution stärkte.

Letzteres war nun die Grundlage für Stalins Argumentation, dass mit dem „Voranschreiten zum Sozialismus“ notwendigerweise der Klassenkampf, der Widerstand der Reste des Kapitalismus im Lande zunehme. Auf besagter ZK-Tagung im April 1929 legte er das breit dar, benutzte Lenin-Zitate, egal, ob sie passten, führte mit vereinfachenden Argumenten seine innerparteilichen Kritiker vor, Zustimmung von seinen schon zahlreichen Anhängern erheischend. 1927 war Trotzki aus der Partei ausgeschlossen, 1929 aus der SU verbannt worden, es blieb nur noch Bucharin als Kopf der letzten innerparteilichen Opposition. Dieser mühte sich, in Reden und längeren Artikeln darzulegen, dass der Kurs auf beschleunigte Industrialisierung auf Kosten der Bauern und auf zwangsweise Kollektivierung der Landwirtschaft, die nun eingesetzt hatten, Lenins Konzepten der Freiwilligkeit und einer Festigung des Bündnisses zwischen Arbeiterklasse und werktätiger Bauernschaft widersprach und den sozialistischen Aufbau damit letztlich ernsthaft gefährde.

Bucharin und Genossen hatten keine Chance, Stalin hatte bereits voll die Meinungs­führerschaft errungen und sich als natürlicher Nachfolger Lenins inszeniert. Die Partei hatte sich seit der Revolution spürbar gewandelt. Ihre übergroße Mehrheit bestand aus jungen Mitgliedern, fast nur vertraut mit Stalins Reden und Schriften, in denen er Lenin und Marx so interpretierte, wie es ihm gerade passte.

Wenn es ernst wurde, stellte Stalin typischerweise die Alternative „Mit mir vorwärts zum Sieg des Sozialismus oder mit Trotzki, Bucharin, … zurück zum Kapitalismus“. Bekanntlich ging stellenweise auch Walter Ulbricht in der frühen DDR so vor. Mehr zu diesen Dingen findet sich im Buch „Vorlesungen zur Geschichte des Stalinismus“ (Heinz Niemann, 1991).

Stalin schuf den „Marxismus-Leninismus“, indem er Aussagen von Marx und Lenin in ein dogmatisches System zusammenfasste, das seinen Kurs und seine Herrschaft rechtfertigen sollte. Konzentrierter Ausdruck dessen war der „Kurze Lehrgang“ der Parteigeschichte, der die Welt erklären sollte, über die Jahre nach Opportunität aktualisiert wurde und Ideologie und Praxis der Kommunistischen Bewegung nachhaltig prägte, teilweise bis heute.

Bekanntlich waren die Ereignisse Ende der zwanziger Jahre nur der Auftakt zu weiterem, viel größerem Terror mit dem Höhepunkt 1937/38 („Großer Terror“). Bucharin und fast alle noch im Land lebende alte Bolschewiki wurden erschossen, neben Hunderttausenden anderen, Kommunisten, Parteilose, Arbeiter, Bauern, Künstler, Funktionäre, Ausländer. Millionen wurden zu Zwangsarbeit verurteilt, in Lagern unter erbärmlichen Bedingungen.

Erschütternd ist das Ausmaß dieser Verbrechen. Nur exemplarisch zwei Beispiele.

1) Auf dem 17. Parteitag 1934 („Parteitag der Sieger“ laut Stalin) waren 1996 Parteimitglieder anwesend, von denen in den folgenden drei Jahren 1108 verhaftet und ungefähr zwei Drittel exekutiert wurden. Von 139 gewählten ZK-Mitgliedern und Kandidaten wurden 98 exekutiert. Von den verbleibenden 41 wurden nur 24 beim 18. Parteitag 1939 wieder ins ZK gewählt.

2) Ab 29.7.1937 erfolgte im Rahmen der „Deutschen Operation“ die Verhaftung von 55005 deutschen Personen, wovon 41898 erschossen und 13107 teils zu langer Lagerhaft verurteilt wurde. Stalin sah in ihnen mögliche Agenten Nazideutschlands, geleitet von seiner Paranoia wollte er „sichergehen“. (Katja Hoyer „Diesseits der Mauer“, s. 37) 

Über Jahrzehnte prägte Stalin die sowjetische und Weltpolitik, z.B. über die Kommunistische Internationale und im Gefolge des Hitler-Stalin-Paktes und nach dem Zweiten Weltkrieg. Er machte den von Lenin geschaffenen Staat mit aller Härte zur Großmacht und legte gleichzeitig die Grundlagen des späteren Scheiterns. Die unterschiedlichen materiellen und geistigen Folgen sind noch heute spürbar. (Michael Wolff, März 2025)