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5. Mai - Karl Marx
Kalenderblatt: 5.5.2025
„Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung‘, die einzelne Ware als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Ware.“
So lauten die allerersten beiden Sätze aus dem Kapital von Karl Marx (5.5.1818 – 14.3.1883), das 1867 in erster Auflage in Hamburg erschien. Heute sind meistens Nachdrucke der vierten, von Friedrich Engels (1820 - 1895) besorgten Ausgabe von 1890 in Umlauf.
Was in der Chemie Atome, sind in der politischen Ökonomie die Waren. Und so beginnt Marx mit der Analyse der Ware und kommt dann konsistent zur kapitalistischen Produktionsweise (s. Haug und Quaas für nützliche Erläuterungen hierzu, Literaturangaben erfolgen am Schluss).
Im ersten Kalenderblatt zu Marx vom 14.3.2025 wurde schon Einiges zu seinem vielseitigen Werk ausgeführt, heute beschränke ich mich auf wenige Kernaussagen seiner ‚Kritik der politischen Ökonomie‘. (Der Begriff ‚Kritik‘ steht bei Marx nicht zufällig!) Für manche Mitmenschen sind es stichpunktartige Erinnerungen, für andere vielleicht Anregung, selbst im Kapital, oder – in modernerer Darlegung – bei Quaas oder Haug zu lesen. Ein anderer Einstieg findet sich bei Marx selbst, in seinem Vortrag Lohn, Preis und Profit aus dem Jahre 1865.
1) Ware: Jedes von Menschen für den Tausch (bzw. Verkauf/Kauf) gefertigte (gesammelte, erjagte, …) Ding ist eine Ware, genauer, wird zur Ware, wenn sich der Tausch mit einem anderen derartigen Ding, was dann ebenfalls Ware, vollzieht. Eine Ware hat Gebrauchswert, den der Käufer nutzen möchte, und sie hat einen Tauschwert, den der Verkäufer durch den Tausch (Verkauf) realisieren möchte. Das Gemeinsame beliebiger zweier Waren, die auf dem Markt getauscht werden, ist ihr Wert, der als Tauschwert erscheint. (Das soll hier genügen.) Der Wert bemisst sich an der zur Herstellung der Ware ‚gesellschaftlich notwendigen (Gesamt-)Arbeitszeit‘. Letztere ist die durchschnittliche Arbeitszeit, die von allen Produzenten der Ware aufgewendet wird, wie sich mathematisch zeigen lässt (Quaas [Abschn. 3.6]). Bei Marx ist der Wert einer Ware gleich dieser gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, wobei er ‚einfache Arbeit‘ im Blick hat, aus der sich komplizierte zusammensetzt. Marx gab seinen tiefgründigen Überlegungen keine durchgängige mathematische Form. Es lässt sich zeigen, dass der Wert einer Ware gleich dem Produkt aus dem Kompliziertheitsgrad der Arbeit und der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit ist, was Marx nicht widerspricht. Statt Arbeit auf ‚einfache Arbeit‘ zu reduzieren, wird die Arbeitszeit mit dem Faktor Kompliziertheitsgrad multipliziert (Quaas [Abschn. 3.4]).
Erwähnt sei noch, dass in der entwickelten Warenproduktion das Geld (Gold, Papiergeld, digitales Geld) eine besondere Ware ist, die ‚Geldware‘. Ihr alleiniger Gebrauchswert besteht darin, als Träger universellen (Tausch-)Werts zu fungieren. Ohne Geld kann frühe einfache Warenproduktion mit klassischen Märkten funktionieren, der Kapitalismus wohl kaum.
Aus dem Doppelcharakter der Ware, zum Tausch bestimmtes Ding mit Gebrauchswert für andere zu sein und gleichzeitig beim Tausch ihren für den Anbieter wichtigen Wert zu realisieren, erwächst das Grundproblem einer Warenproduktion, nach Marx der „Todessprung der Ware auf den Markt“. In der früheren Warenproduktion hatten die Tauschpartner oft Nebenwirtschaften, die manchen Verlust auf dem Markt abfedern konnten. Im Kapitalismus hingegen hat dieser drohende ‚Todessprung‘ ganz andere Konsequenzen, für den Lohnarbeiter wie für den Kapitalisten (s. Punkt 4).
2) Wertgesetz: Auf dem Markt werden im Mittel Waren gleichen Werts miteinander getauscht. Dieses gesellschaftliche Gesetz wirkt im statistischen Mittel über sehr viele Tauschvorgänge hinweg, nicht auf isolierte Tauschvorgänge wie im Märchen „Hans im Glück“. In aller Regel waren und sind die Tauschpartner darauf bedacht, für sich das Beste herauszuholen, so dass sich im Mittel die Abweichungen die Waage halten und sich auch auf früheren Märkten mit der Zeit Erfahrungswerte für die Tauschverhältnisse einpegelten.
Schon auf Märkten ohne Geld folgt aus dem Wertgesetz die Konkurrenz von unabhängigen Produktionseinheiten (Familien, Individuen), indem vorhandene individuelle Unterschiede durch das Wirken des Wertgesetzes verstärkt werden, was letztlich zum Ruin der Schwächeren führt. Diese Folgerung findet sich noch nicht bei Marx, nach Quaas (Abschn. 3.8.1) fehlte ihm wohl dazu der mathematische Apparat.
3) Arbeitskraft: Die menschliche Arbeitskraft, also das Vermögen zur Arbeit, hat eine besondere Eigenschaft: In Aktion, also als stattfindende Arbeit, schafft sie (ab einer gewissen geschichtlichen Entwicklungsstufe) mehr Produkt, als sie zu ihrer eigenen Reproduktion benötigt (wieder über einen längeren Zeitraum gemittelt). Zur Reproduktion gehören Mittel zum Lebensunterhalt und Aufwendungen für die Familie. Der Überschuss über das erarbeitete Produkt zum Lebensunterhalt hinaus wird Mehrprodukt genannt. In Jäger- und Sammlergemeinschaften ist es noch nicht vorhanden oder gering. In Klassengesellschaften eignen sich die Produktionsmittel besitzenden Klassen das Mehrprodukt an, mit außerökonomischen Zwängen z.B. in der Sklaverei, mit ökonomischen im Kapitalismus.
4) Lohnarbeit und Kapital: Der Lohnarbeiter (Proletarier) besitzt nur eine Ware, die er auf dem Markt anbieten kann, nämlich seine eigene Arbeitskraft, genauer, deren Nutzungsrecht. Die strenge Unterscheidung zwischen Arbeit und Arbeitskraft und die darauf fußenden Erkenntnisse stammen originär von Marx. Frühere Ökonomen wie David Ricardo (1772 - 1823) (auch Marx noch im Kommunistischen Manifest) meinten, dass der Lohnarbeiter seine Arbeit verkaufte, womit dann an dieser wichtigen Stelle des kapitalistischen Produktionsprozesses das Wertgesetz prinzipiell nicht gelten könnte.
Der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft (für den Kapitalisten) ist ihre Fähigkeit, ein Mehrprodukt zu schaffen, ihr (Tausch-)Wert ist der Wert, der zu ihrer Reproduktion nötig ist, den der Arbeiter in Form des Lohnes erhält (s. auch zweite zitierte Quelle von Marx). Auch hier gilt das Wertgesetz, wie im Punkt 2 beschrieben, allerdings mit besonderer Schärfe.
Als Kapital bezeichnet Marx ‚prozessierenden Wert‘, also Wert, der Mehrwert generieren kann. In Produktionsmittel und Arbeitskraft angelegtes Geld erzeugt Mehrwert, der als Profit realisiert werden kann. Kapital braucht letztlich Lohnarbeitskraft zu seiner Reproduktion, was durch Kredite und Zinsen verdeckt sein kann. Die berühmte Formel des Kapitalkreislaufes ist „Geld (G) zu Ware (W) zu (G‘)“ mit G‘ größer als G, mit endloser Wiederholung.
Der Lohnarbeiter muss seine Arbeitskraft verkaufen, der Kapitalist die erzeugten Waren. Arbeitskraft wird nur gekauft, wenn der durch sie entstehende Mehrwert erwartbar auf dem Markt realisiert werden kann. Infolgedessen konkurrieren die Kapitalisten untereinander, die Arbeiter und Kapitalisten (Klassenkampf) sowie die Arbeiter untereinander. Um am Markt zu bestehen, müssen die Kapitalisten einen Teil des Profits (realisierter Mehrwert) wieder investieren, in Produktionsmittel und Arbeitskraft. Dadurch entsteht ein starker Drang zu Expansion, ständiger Innovation und Globalisierung mit den bekannten Folgeerscheinungen, teilweise schon zu Marx‘ Zeiten (s. Kommunistisches Manifest).
5) Fazit: Karl Marx schuf ein Modell für die politische Ökonomie des Kapitalismus, das wesentliche Phänomene der Entwicklung, Funktionsweise und Entwicklungstendenzen korrekt beschreibt. Wie in jeder Wissenschaft ist die Herausforderung, aufbauend auf den Grundlagen, neue Entwicklungen zu analysieren, ggf. auch Aussagen der Theorie zu korrigieren usw.
Im Gegensatz zu manchen früheren Behauptungen lässt sich aus diesem Modell heraus keine Revolution begründen (ebenso keine Ewigkeitsgarantie), sondern nur die widersprüchliche Struktur der kapitalistischen Gesellschaftsordnung begreifen. Ohne die massenhaft erfahrene Unerträglichkeit von Herrschaft, Unterdrückung und Ausbeutung ist die Bildung eines historischen Subjekts nicht möglich (Nach Detlev Claussen (1982), zitiert in Wallat [S. 11]).
Literatur: K. Marx: Kapital I, 1890, 4. Auflage, Band 23 MEW, Dietz-Verlag Berlin
K. Marx: Lohn, Preis und Profit, Neuauflage mit Kommentaren von Th. Kuczynski, 2022
W. F. Haug: Vorlesungen zur Einführung ins „Kapital“, Neufassung 2005
G. Quaas: Die ökonomische Theorie von Karl Marx, 2016
H. Wallat: Staat oder Revolution, 2012
(Michael Wolff, Mai 2025)